Passgenau qualifizierte pädagogische Fachkräfte machen Bildungserfolg erst möglich
Im komplexen und sehr heterogenen deutschen Bildungssystem gibt es eine Vielzahl an Einflussfaktoren und Stellschrauben, die sich auf das Lernen im Laufe des Lebens auswirken. Einen Zugewinn an Klarheit und Struktur zur Analyse der aktuellen Bildungssituation in Deutschland bietet der Bericht "Bildung in Deutschland 2022", der Ende vergangener Woche auf der gemeinsamen Pressekonferenz der Kultusministerkonferenz (KMK), des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) und der Autorengruppe des Bildungsberichts vorgestellt wurde. Themenschwerpunkt des diesjährigen Berichts sind die Rekrutierung und Ausbildung geeigneten pädagogischen Fachpersonals. Dabei geht es angesichts der Ausweitung ganztägiger Angebote in Schulen und Kitas sowohl um den bedarfsgerechten Ausbau der Studiums- und Ausbildungsplätze als auch um Qualität und Attraktivität des dort vermittelten Theorie- und Praxiswissens. Darüber hinaus benennt der Bericht neben einer Reihe positiver Entwicklungen aber ebenfalls Defizite in den verschiedenen Bildungsbereichen.
Flexibilisierung der Fachkräfteausbildung als Antwort auf gestiegene Bildungs- und Betreuungsbedarfe
In den Bereichen Frühe Bildung, Schule und Ganztagsangebote in Grundschulen weist der Bildungsbericht auf die Notwendigkeit zusätzlichen Fachpersonals bis 2025 hin. Hierbei geht er von einer Zahl von bis zu 72.500 fehlenden Fachkräften in der frühen Bildung und etwa 30.000 in den Schulen aus. Für die Umsetzung des Rechtsanspruches auf Ganztagsbetreuung schätzen die Expert*innen, dass bis 2030 bis zu 65.600 zusätzliche Fachkräfte benötigt werden. Der Fokus der Kultusministerkonferenz liegt daher verstärkt auf der Lehrkräftegewinnung und Lehrkräftequalifizierung. Um diese Bedarfe zu decken, sollen neue Studienmodelle entwickelt werden, die auch flexiblere Modelle des Einstiegs in den Lehrerberuf und des Umstiegs während des Studiums beinhalten. Hinzu kommen Maßnahmen, um die Anzahl der Studienabbrecher zu reduzieren und mehr junge Menschen darin zu unterstützen, ihr Lehramtsstudium erfolgreich abzuschließen. Zusätzlich zur zahlenmäßigen Ausweitung der Studienplätze sollen Quer- und Seiteneinstiege und das Arbeiten in multiprofessionellen Teams ermöglicht werden.
Mehr Bildungsteilnehmende, Bildungseinrichtungen und Beschäftigte im Bildungswesen bei sinkenden Schulabbrecherquoten, konstant hoher Weiterbildungsteilnahme und steigenden Studienabschlüssen
Infolge höherer Geburtenzahlen, Zuzüge aus dem Ausland und dem andauernden Trend zum lebenslangen Lernen erhöhte sich die Anzahl der Teilnehmenden an Bildungsaktivitäten im Jahr 2020 um vier Prozent im Vergleich zum Jahr 2010. Im selben Maße wuchs auch die Menge an formalen Bildungseinrichtungen; Schwerpunkte waren hierbei die Kindertagesbetreuung und der Hochschulbereich. Sowohl die Anzahl der Angebote in der Ganztagsbetreuung als auch deren Nutzung sind in diesem Kontext deutlich gestiegen. In der Altersgruppe der unter Dreijährigen nahm die Bildungsbeteiligung im Vergleich zu 2010 um circa zehn Prozent zu. Bestätigt hat sich darüber hinaus der langfristige Trend zur Höherqualifizierung, da 2020 der Bevölkerungsanteil mit höherem beruflichem oder akademischem Abschluss fünf Prozent über dem Wert aus dem Jahr 2010 lag; zudem fällt die Studiennachfrage weiterhin hoch aus. Gleichsam verhält es sich mit der Teilnahme an Weiterbildungsangeboten. Positiv zu verzeichnen sind ferner der Ausbau digitaler Bildungsangebote, insbesondere an Hochschulen.
Negative Effekte von sozialer und ethnischer Herkunft sowie der Pandemie, berufliche Aus- und Weiterbildung rückläufig, geringere Erwerbsbeteiligung von Frauen
Neben den positiven setzen sich hingegen auch ungünstige Entwicklungstrends fort: Weiterhin bestehen bleibt der Anteil Erwachsener ohne beruflichen Abschluss oder Hochschulreife, der bei Menschen mit Zuwanderungsgeschichte durchschnittlich höher ausfällt als in der Gesamtbevölkerung. In der frühen Bildung waren Kinder aus Familien mit nichtdeutscher Familiensprache ebenfalls in besonderem Maße durch den Wegfall der Sprach- und Fördermaßnahmen während der Pandemie betroffen. Die Pandemiefolgen machten sich darüber hinaus grundsätzlich bei Schüler*innen bemerkbar: Erste Schulleistungsstudien deuten darauf hin, dass die Kompetenzen von Grundschüler*innen im Jahr 2021 im Vergleich zu Gleichaltrigen der Vorjahre gesunken sind. Hinzu kommt, dass das Belastungserleben von Schüler*innen im Alter von 11 bis 17 Jahren während der Pandemie stark gestiegen ist. In der Folge zeigte fast jedes dritte Kind psychische Auffälligkeiten (vor der Pandemie betraf dies jedes fünfte Kind). Herausgefordert ist ebenfalls das Gebiet der beruflichen Ausbildung, wo fehlende Fachkräfte, Passungsschwierigkeiten, höhere Abbruchquoten bei bestimmten sozialen Gruppen sowie gestiegene Unsicherheiten beim Berufseinstieg den Ausbildungsmarkt prägen. Auch am Arbeitsmarkt sind geschlechterbedingte Ungleichheiten zu beobachten. So lag die Erwerbsbeteiligung von Frauen, insbesondere von Frauen mit niedrigeren Bildungsabschlüssen, unter der von Männern, und das trotz der verbesserten Rahmenbedingungen für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und der gestiegenen Nachfrage in frauendominierten Berufen (z. B. im Gesundheits- und Sozialbereich).
Fazit und Handlungsansätze für die Bildungspolitik
Angesichts der sich im Nationalen Bildungsbericht abzeichnenden Entwicklungen unterstrich Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger daher: "…Unser Bildungssystem muss besser werden. Es muss den Einzelnen bestmöglich fördern und dafür den Herausforderungen der Zeit gewachsen sein." Dafür forderte sie eine schnellere Digitalisierung der Bildung, eine bessere Integration von geflüchteten Kindern und Jugendlichen und vor allem mehr Chancengerechtigkeit. Auch das Zusammenspiel von Bund, Ländern und Kommunen müsse verbessert werden, so die Bundesbildungsministerin.
Der Bildungsbericht beschreibt die Gesamtentwicklung des deutschen Bildungswesens und erscheint alle zwei Jahre. Seine besondere Bedeutung liegt darin, die verschiedenen Bildungsbereiche von Bildung im Lebenslauf in ihrem Zusammenhang und indikatorengestützt über größere Zeiträume darzustellen und so übergreifende Herausforderungen im deutschen Bildungssystem vergleichbar und sichtbar zu machen. Erarbeitet hat ihn eine unabhängige Wissenschaftlergruppe unter Federführung des DIPF | Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation. Außerdem sind das Deutsche Institut für Erwachsenenbildung Leibniz-Zentrum für Lebenslanges Lernen e.V. (DIE), das Deutsche Jugendinstitut (DJI), das Deutsche Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW), das Leibniz-Institut für Bildungsverläufe (LIfBi), das Soziologische Forschungsinstitut an der Universität Göttingen (SOFI) sowie das Statistische Bundesamt (Destatis) und die Statistischen Ämter der Länder (StLÄ) beteiligt.
Zum vollständigen Bericht auf der Internetpräsenz des Nationalen Bildungsberichts