Gesprächsrunde
Teilnehmende:
Staatssekretär Jo Dreiseitel, Bevollmächtigter für Integration und Antidiskriminierung im Hessischen Ministerium für Soziales und Integration
Bürgermeister Peter Schneider, Dezernent für Erziehung, Bildung, Jugend und Umwelt der Stadt Offenbach a.M.
Dr. Marie-Luise Stoll-Steffan, Regionalkuratorin Hessen und Rheinland-Pfalz und stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Bürgerstiftung "Die Wiesbaden Stiftung"
Gesprächsleitung:
Sabine Süß, Leiterin der Koordinierungsstelle des Netzwerkes Stiftungen und Bildung im Bundesverband Deutscher Stiftungen
Mit einer Gesprächsrunde zu der These, dass "Kommunen nicht nur Bildungs- und Arbeitsorte sind, sondern auch Orte der Integration darstellen" wird der Fachtag eröffnet. Sabine Süß verortet zunächst die einzelnen Teilnehmer der Gesprächsrunde im Gesamtkontext durch eine kleine Vorstellungsrunde. So ist Staatssekretär Jo Dreiseitel heute zwar Bevollmächtigter des Landes Hessen für Integration, aber der diplomierte Sozialarbeiter war in seiner Zeit als Bürgermeister der Stadt Rüsselsheim verantwortlich für die Bereiche Kinder und Jugend, Soziales und Gesundheit, Bildung und Kultur. Dr. Marie-Luise Stoll-Steffan vertrat als Repräsentantin der Bürgerstiftungen die Perspektive der Zivilgesellschaft. Und Peter Schneider komplettierte die Runde nicht nur als Vertreter einer Kommune; vielmehr war die Stadt Offenbach eine der Lernen vor Ort-Kommunen, die überzeugende Maßnahmen für die Kooperation mit Stiftungen im Kontext datenbasierten kommunalen Bildungsmanagements erarbeitet haben. Auch die Gesprächsleiterin selbst ist im Thema bewandert: Die Leiterin der Koordinierungsstelle des Netzwerkes Stiftungen und Bildung im Bundesverband Deutscher Stiftungen hat als Vorstand der Schader-Stiftung gemeinsam mit der Software AG-Stiftung zuvor die Stadt Offenbach bei der Entwicklung eines kohärenten Bildungsmanagement begleitet, wie auch zu einem späteren Zeitpunkt die Geschäfte des Stiftungsverbunds Lernen vor Ort in der Begleitung der Lernen vor Ort-Kommunen geführt.
Zu Beginn des Gesprächs wird ein Paradigmenwechsel konstatiert. Immer häufiger wird die Verantwortung für Bildung umfassender in den Kommunen verortet, als sie es bisher selbst so gesehen haben. Programme wie Lernende Regionen oder HessenCampus, Lernen vor Ort und die vom Bundesbildungsministerium veranlasste Transferinitiative Kommunales Bildungsmanagement mit der miteinladenden Transferagentur Hessen verdeutlichen diese Entwicklung.
Das Land Hessen hat sich frühzeitig konsequent mit der Integration als gesellschaftlicher Aufgabe befasst und als erstes Bundesland ein Ministerium für Integration etabliert. Die Programme WIR und vorher die Modellregionen Integration sind Belege für diese Konsequenz. Eine besondere Herausforderung, die alle betrifft, bildet aktuell die neue Dimension der Zuwanderung. Zivilgesellschaftlich ist hier das Engagement ungewöhnlich groß, auch das der Stiftungen. Was passieren muss, damit aus diesem Zustand dauerhafte Strukturen der Kooperation etabliert werden können, soll zunächst aus Sicht des Landes beantwortet werden.
An dieser Stelle verweist Staatssekretär Jo Dreiseitel auf bereits vorhandene Maßnahmen, die nun entsprechend stärker in den Fokus rücken. So zeichnet das "Stiftungsland Nummer eins Hessen" beim zweijährlichen Hessischen Stiftungstag die "Stiftung des Jahres" aus. Mit der bundesweit einmaligen LandesEhrenamtsagentur Hessen wurde eine Servicestelle für alle Fragen rund um das Ehrenamt eingerichtet. Gemeinsam mit den Freiwilligenagenturen wird hier ein ganzes Maßnahmenbündel angesiedelt, unter anderem wird sowohl die Innovation als auch die Stiftung des Monats genauer beleuchtet. Diese Wertschätzung soll eine erste Basis für die Verstetigung sein. "Stiftungen mit ihren innovativen Ideen und Aktivitäten sind unverzichtbar gerade auch für eine gelingende Integration von zu uns kommenden Flüchtlingen. Sie können Menschen zusammenbringen und neue Wege einschlagen. Dort entwickelte Ideen können dann in Bildungsstrukturen des Landes und der Kommunen einfließen", so der Staatssekretär.
Die angesprochenen Schritte sind ein guter Ansatz, um systematische Kooperationen zu stärken, vielleicht aber nicht ausreichend, schlussfolgert Sabine Süß. Mit der Frage nach den Wünschen der Kommunen und auch der Zivilgesellschaft an das Land untersucht die Runde gemeinsam den Bedarf der Akteure. Laut Peter Schneider herrschen in der Politik durchaus Vorbehalte gegenüber Stiftungen und anderen Akteuren der Zivilgesellschaft, da sie anders vorgehen als die Verwaltung. Gegenüber Stiftungen wirken Verwaltungen in ihrer Arbeitsweise schwerfälliger, weshalb auch Stiftungen oftmals Schwierigkeiten haben, diese nachzuvollziehen. Die Erfahrungen aus Lernen vor Ort haben gezeigt, dass auf Seiten der Kommune eine Ermöglichungskultur aufgebaut werden muss, um die Zusammenarbeit mit Stiftungen zu beflügeln und nicht abzubremsen. Diese Feststellung bekräftigt Dr. Marie-Luise Stoll-Steffan mit Verweis auf Aktivitäten in Wiesbaden, wo es gelungen ist, alle Aktionen zur Integration von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt zu bündeln. Eine solche gemeinsame Herangehensweise braucht es an vielen anderen Stellen auch, plädiert die Vertreterin der Bürgerstiftungen.
Wie diese Zusammenarbeit aller wichtigen Akteure produktiver und dauerhaft gestaltet werden kann, will die Gesprächsleiterin nun wissen. Dr. Marie-Luise Stoll-Steffan bekräftigt, dass die momentane zivilgesellschaftliche Einsatzbereitschaft in ihrer Nachhaltigkeit gefährdet ist, wenn nicht zeitnah Instrumente und Prozesse für eine Verstetigung entwickelt werden. Es besteht die große Aufgabe, die richtigen Akteure zu identifizieren und alle zu befähigen, sich gesellschaftlich zu beteiligen, erklärt Sabine Süß. Daran anknüpfend stellt sich die Frage nach den Schnittstellen der Angebote unterschiedlicher Akteure in der Bildungslandschaft und der Steuerungsinstrumente, die für sinnvolle Verknüpfung nötig sind. Die Erfahrung aus Lernen vor Ort zeige, dass es eben nicht nur Instrumente sondern vor allem Strukturen brauche, erwidert Peter Schneider. Diese sollten in einer gemeinsamen Abstimmung und nicht einer Hierarchie folgend entwickelt werden und dürften keinesfalls den Stiftungen einfach übergestülpt werden. Er verweist dabei nochmals auf die Notwendigkeit von neuen Weichenstellungen auf Seiten der Verwaltung.
Ähnlichen Veränderungsbedarf sieht Dr. Marie-Luise Stoll-Steffan auch für die Zivilgesellschaft: "Es braucht eine praxisnahe Stärkung des Ehrenamts. Dies bedeutet auch, eine Qualifizierung und Professionalisierung des Engagements." Dafür ist eine konzertierte Aktion vonnöten, die so etwas wie Masterplanprozesse aufsetzt, fordert die Wiesbadenerin. Diesen Appell gibt die Moderation an den Vertreter des Landes weiter. Wie sieht Staatssekretär Jo Dreiseitel die Zukunftsvision für eine lösungsorientierte Abstimmung unter den Ministerien? Erste Schritte zeigen, dass man hier bereits auf dem richtigen Weg ist, antwortet er. So verweist er auf die nationale Asylkonferenz, bei der die Ministerpräsidenten gemeinsam mit der Bundeskanzlerin im September 2015 nach gangbaren Ergebnissen suchten. Auch der "Hessische Aktionsplan zur Integration von Flüchtlingen und Bewahrung des gesellschaftlichen Zusammenhalts", der die Kommunen stärken soll, die ehrenamtlichen Helfer unterstützt und für Sicherheit und Schutz von Bürgern und Flüchtlingen sorgt, stehe hier exemplarisch für die eingeschlagene Route, ähnlich wie die mittlerweile 28 Arbeitsmarktbüros in Hessen, die an die Jobcenter angegliedert sind. Dr. Marie-Luise Stoll-Steffan ergänzt zustimmend, dass die Arbeitsmarktbüros tatsächlich die notwendige Bündelung vornehmen. Es braucht aber mehr solcher Bündnisse für Bildung.
Auf das Förderprogramm für Kommunale Bildungskoordinatoren des Bundesministeriums für Bildung und Forschung reagiert Peter Schneider positiv: Das Programm ist mit der richtigen und wichtigen Intention entwickelt worden, Netzwerke und Kooperationen zu stärken und Bildungsangebote aller Akteure – aus Verwaltung wie auch der Zivilgesellschaft – zusammenzuführen. Dies stößt bei der Stadt Offenbach auf großes Interesse. Auch Dr. Marie-Luise Stoll-Steffan begrüßt den Ansatz. Einhellig wird an die Kommunen appelliert, an dieser Stelle die Unterstützung der Transferagentur Hessen in Anspruch zu nehmen. Die Transferagenturen fungieren bereits als eine der geforderten Schnittstellen zwischen allen Akteuren. Ihr Angebot zu nutzen und mit ihrer Begleitung den eingeschlagenen Weg weiterzugehen, kann die lokale Entwicklung von kommunalen Bildungslandschaften stärken. Die in Bildungslandschaften geschärften Governancestrukturen der Kooperation aller Akteure aus Verwaltung und Zivilgesellschaft helfen dann auch, neue gesellschaftliche Aufgaben, wie die der Integration von Neuzugewanderten, zu bewältigen.