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Wandel braucht Beteiligung (?) – digital & analog

Art: Seminar
Ort: Ka Eins – Ökohaus, Kasseler Str. 1a, 60486 Frankfurt am Main
Datum: 20.07.2022
Uhrzeit: 10:00–16:00 Uhr


Beteiligung als zentraler Bestandteil in der aktiven Gestaltung von kommunalen Bildungslandschaften stand im Fokus des Seminars der Transferagentur Hessen im Frankfurter Ökohaus. Gemeinsam mit Expert*innen aus Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Kommunen wurde erörtert, welche Beteiligungsformen sich für welche Prozesse eignen und welche analogen und digitalen Instrumente dafür sinnvoll eingesetzt werden können. Dabei wurde berücksichtigt, dass viele Kommunen aktuell noch durch die Digitalisierung herausgefordert werden.

Politische Partizipation – Typen und Formen, Chancen und Grenzen

Prof. Dr. Norbert Kersting vom Institut für Politikwissenschaft der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster bejahte gleich zu Anfang seines Impulses die im Veranstaltungstitel aufgeworfene Frage: Wandel könne nur gelingen, wenn dabei alle mitgenommen würden. Zukunftsweisend seien hierfür deliberative Verfahren wie Beiräte, Foren und Bürgerräte, bei denen auch verstärkt Mechanismen der Zufallsauswahl zum Tragen kämen. Auch Kommunen griffen zunehmend auf digitale Instrumente zurück. Insbesondere die sog. "Bürgerhaushalte" seien mittlerweile weit verbreitet. Diese und weitere Formen der Bürgerbeteiligung sähen sich jedoch i.d.R. mit dem Problem konfrontiert, dass hierfür in den kommunalen Haushalten keine eigenen Mittel eingeplant seien. Ferner hätten partizipative Prozesse damit zu kämpfen, dass sich oftmals immer dieselben Personen(gruppen) innerhalb der Kommune engagierten. Digitale Beteiligungsinstrumente böten ferner die Möglichkeit, auch Gruppen einzubinden, die bisher in der Kommunalpolitik weniger stark vertreten seien. Hinsichtlich der Erhöhung von Teilhabe müsse daher darauf geachtet werden, bestehende Zugangsbarrieren abzubauen und auf eine gute Mischung von Online- und analogen Beteiligungsmöglichkeiten zurückzugreifen (sog. "blended participation"), da sich gezeigt habe, dass analoge Instrumente für die soziale Vernetzung oft besser funktionierten. Insbesondere Kooperationen in der Nachbarschaft bzw. im Quartier könnten noch viel stärker genutzt werden. Prinzipiell sei wichtig, dass Bürgerbeteiligungsverfahren nicht zu Zwecken des Stadtmarketings missbraucht würden.

Im Nachgang zum Seminar führte die Transferagentur Hessen noch ein Interview zum Seminarthema mit Prof. Dr. Kersting, in dem zentrale Fragestellungen seines Vortrags nochmals aufgegriffen und vertieft werden.

Bildung der Zukunft – Leitbild für die kommunale Bildung gesucht

Irene Fink und Ingeborg Groebel stellten gemeinsam den einjährigen Beteiligungsprozess zur Erarbeitung eines gesamtstädtischen Bildungsleitbilds für die Stadt Wiesbaden vor. U.a. mittels einer Befragung, der Auseinandersetzung mit dem Thema in schulischen Arbeitsgruppen und einer kommunalen Bildungskonferenz konnten hierbei die Perspektiven zahlreicher Gruppen und Beteiligter in ein diskursiv entwickeltes und schließlich politisch verabschiedetes Leitbild einfließen.

Ziel war einerseits, über die Einigung auf ein gemeinsames Bildungsverständnis allen Akteuren nachhaltig Orientierung anzubieten und andererseits, ihren gegenseitigen Austausch zu ermöglichen. Dem Prozess selbst kam daher dabei eine große Bedeutung zu, auch wenn er nicht den Anspruch eines deliberativen Prozesses verfolgte. Vielmehr richtete er sich an eine Fachöffentlichkeit, die aber durch die punktuelle Einbindung von Eltern und Familienzentren etwas geöffnet werden konnte. Ein relevanter Faktor für den Erfolg des partizipativen Prozesses lag zudem darin, dass die koordinierenden Kräfte im Bildungsbüro der Stadt Wiesbaden nicht kategorisch am geplanten Prozessverlauf festhielten, sondern sich offen für Veränderungen zeigten und Verbesserungsvorschläge einarbeiteten.

Digitale Beteiligung – Anwendungsbeispiele der Software "Consul"

Simon Strohmenger vom Verein "Mehr Demokratie e.V." präsentierte in seinem Impuls die Einsatz- und Anwendungsmöglichkeiten der Software "Consul" für die Organisation und Durchführung digitaler Beteiligungsprozesse. Dabei sei die Ausgangssituation dadurch gekennzeichnet, dass es nur wenige Open Source-Programme in diesem Bereich gäbe. Diese Lücke könnte beispielsweise durch das Open Source-Instrument "Consul" gefüllt werden, das nicht nur die quantitative Steigerung der Nutzung, sondern auch die Verbesserung der Qualität insgesamt zum Ziel habe. Grundsätzlich unterstrich er hingegen, dass die digitale die analoge Beteiligung nicht ersetzen, sondern nur ergänzen könne. Es sei daher vielmehr passender, von einer "hybriden Beteiligung" zu sprechen. Hierbei könne die digitale Partizipation als eine Art "Seismograf" für erste Tendenzen in der Bürgerschaft fungieren. Als zentrale Gelingensfaktoren für Online-Beteiligung seien vor allem Marketing- sowie weitere Begleitmaßnahmen zu nennen, die in der Bürgerschaft Vertrauen und Selbstwirksamkeit erzeugten. Gerade die Öffentlichkeitsarbeit benötige jedoch ausreichend Ressourcen, die auch eine gute Vorbereitung wie z. B. eine Zielgruppenanalyse umfasse. Mittel- bis langfristiges Ziel sei es, die Beteiligungsplattform so nachhaltig zu etablieren, dass die Nutzenden eigeninitiativ auf die Plattform gingen.

Die wichtigsten Inhalte seines Vortrags hat Simon Strohmenger in einem Fachbeitrag zusammengefasst.
Im Nachgang zum Seminar organisierte die Transferagentur Hessen darüber hinaus noch eine Fragenrunde zur Software "Consul" als Online-Folgeveranstaltung mit dem Referenten, in der spezielle Aspekte seines Vortrags adressiert werden konnten. Zur Fragenrunde vom 28.07. mit Simon Strohmenger

Erfahrungsaustausch und Diskussion

In der anschließenden Gesprächsrunde wurde deutlich, dass die Bedingungen, unter denen partizipative Prozesse stattfinden, signifikante Auswirkungen auf ihren Ausgang und somit ihren Erfolg haben. Hierzu zählten Fehlertoleranz und eine Fehlerkultur, die eine gewisse Flexibilität in der Gestaltung und Optimierung von Prozessen zuließen. Somit sei auch in der (Kommunal-)Verwaltung vielfach ein Umdenken gefordert, um u.a. agiles Arbeiten zuzulassen. Zudem könnten Personalfluktuation und ein gewisses "Silodenken" die ämterübergreifende Zusammenarbeit erschweren.

Darüber hinaus spiele auch die Haltung der Verwaltungsmitarbeitenden eine wichtige Rolle, wenn es in Beteiligungsverfahren darum gehe, Expertise von außen, d.h. von (verwaltungs-)externen Akteuren anzuerkennen. Oftmals stelle nämlich auch das Wissen von Bürger*innen eine wertvolle Quelle für Planungs- und Entscheidungsprozesse dar, insbesondere in Angelegenheiten, in denen sie direkt betroffen seien. Essentiell seien zudem Effekte, die zwar nicht direkt mit der Sache zu tun hätten, sondern durch den Prozess überhaupt erst entstünden. Dies bedeute, die Ko-Kreationsfähigkeit und somit den Austausch von Menschen zu ermöglichen, die sonst wenig Berührungspunkte hätten, indem man beispielsweise auf die heterogene Zusammensetzung von Arbeitsgruppen achte. Außerdem stehe die Erfahrung der Selbstwirksamkeit im Fokus, damit die Beteiligten ihre eigenen Beiträge im Gesamtergebnis wiederfinden könnten. Dies könne das Bürgerinteresse am politischen Geschehen in der Kommune fördern, da partizipative Prozesse eine höhere Identifikation mit den Ergebnissen möglich machten. Für ihre erfolgreiche Durchführung sei es daher insbesondere zu Beginn unumgänglich, ein gutes Erwartungsmanagement zu betreiben. Dies zeigten auch einige negative Erfahrungen mit Bürgerbeteiligung aus der Vergangenheit, die teilweise zu (unbegründeten) Ängsten vor Beteiligung und zu der Einschätzung geführten hätten, dass partizipative Prozesse in erster Linie eine (zusätzliche) Belastung für den bereits verdichteten Arbeitsalltag bedeuteten. Ferner werde teilweise befürchtet, dass ein Übermaß an Beteiligung zum (unbeabsichtigten) Aufbau von Parallelstrukturen führe.

In Summe verfügten Beteiligungsprozesse über das Potential, sich positiv auf die Zukunft kommunaler Bildungslandschaften auszuwirken, da die regelmäßige Einbindung bei allen Beteiligten zu einer stärkeren Professionalisierung und zum Abbau von (Berührungs-)Ängsten führe. In dieser Hinsicht könne man Beteiligungsprozesse auch als Befähigungsprozesse begreifen. Gerade kleinere lokale Strukturen wie Quartiere und Ortsteile könnten hiervon enorm profitieren. Digitale Instrumente könnten dabei gezielt dazu genutzt werden, die Teilhabe in der Bevölkerung sowie die Transparenz über den Prozess erhöhen.

Impressionen

Fotos: INBAS GmbH


Kontakt

Hardy Adamczyk
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Dr. Corinna Mühlig
Telefon 069 27224-719
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